Elias Huckepack und der Eismacher

Das Portal im Schnee


„Nicht so schnell!“, schreit Tom dem Fahrtwind entgegen nach vorne. Laila braust vor ihm auf zwei Brettern den schneebedeckten Hang hinunter, als ob sie noch nie was anderes gemacht hätte. Im Gegensatz zu Elias Huckepack ist Laila leidenschaftliche Skifahrerin und hat das Talent von ihrer Mama und den Großeltern geerbt, die ganz oben auf den Bergen leben. Da, wo der weiße Schnee auch im Sommer nicht schmilzt und manche Menschen auf den Gletschern zum Spaß Skilaufen oder Rodeln. Das wollte Tom auch einmal ausprobieren, der zum ersten Mal mit Elias Huckepack und Laila auf Sommerurlaub in den Bergen ist. Schnee kannte Tom bisher nur aus dem Winter. Doch jetzt braust er mit seinen Ski im Sommer am Gletscher herum. In der letzten Eiszeit, vor über 15 000 Jahren, hatte sich der viele Schnee von damals zu ewigem Eis verbunden. Gletschereis ist ein wahres Wunder der Natur.

Plötzlich verschwindet Laila vor Tom und fällt wie durch ein Portal ins Nichts. Vor lauter Schreck stürzt Tom, der viel unsicherer auf den Skiern steht, und schlittert ebenso in eine tiefe Spalte aus Eis und Schnee.
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Laila braust Tom auf der Gletscherpiste davon.
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Laila rutscht plötzlich durch ein Portal ins ewige Eis.
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In der Eishöhle lebt Fredi. Der weißbärtige Eismacher sorgt sich um das Eis und will auch in Zukunft noch genügend für die Menschen machen.
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Tom will helfen, sein Übermut zerstört jedoch mehr als Fredi lieb ist. Können sie gemeinsam das Eis retten und wieder den Weg aus der Eishöhle finden? Und wo bleibt eigentlich Elias?
Hintereinander rutschen Laila und Tom die Gletscherspalte entlang wie auf einer Rodelbahn und verschwinden immer tiefer und tiefer in den eisigen Tunnel, bis sie kein Licht mehr sehen. Im Dunkeln brausen die beiden auf ihren Hintern dahin, weil sie schon lange die Ski und die Stöcke verloren haben. Tom hat den Schrecken längst verloren und ist voll im Abenteuermodus und ruft von weit hinten, „Juhuuuuuu…… Laila, das macht Spaß!“. Laila, der noch immer vor Schreck die Stimme eingefroren ist, wird allmählich langsamer und langsamer, bis sie plötzlich in einer hellen, glitzernden Höhle zum Stillstand kommt.
In der Stille hört Laila ein lautes Knirschen. Das allerdings verstummt sofort, als Tom lauthals schreiend mit einem großen Lächeln auf dem Gesicht neben Laila eintrifft. Laila kann sich auch nicht mehr halten vor Freude und lacht lauthals los. Schnell verstummen die beiden Abenteuerinnen als eine übergroße, weiße Gestalt mit schulterlangem Bart und dickem Fellmantel um die Ecke hüpft. „Ja, Eises-Kinder! Was macht ihr denn da? Es ist Sommer!“, entfährt es dem zotteligen Ding, das auf den zweiten Blick doch mehr nach einem weißbärtigen Mann aussieht und nicht wie ein Yeti. Mit freudig offenem Mund blickt er auf die beiden, so als ob er schon ganz lange keinen Besuch mehr gehabt hätte. Laila und Tom bemerken die funkelnden Augen des weisen Mannes, der wohl gerne Kinder um sich hat. „Wir waren Skifahren am Gletscher und sind wohl in ein Portal gestürzt“, antworten die beiden entschuldigend.
„Skifahren im Sommer ist auch keine gute Idee, auch wenn‘s Spaß macht. Die Gletscherspalten sind gefährlich und außerdem tut das schnelle Schwingen meinem Eis nicht gut“, meint Fredi, der sich gleich danach als Eismacher vorstellt. „Ich bin in die Eishöhle gegangen, damit ich auf das ewige Eis aufpassen kann und wir Menschen für immer und ewig im Sommer Eis schlecken können.“ Er erzählte den beiden, dass die Menschen auf die Erde gut aufpassen sollten. Denn nur so könnten sie von ihm im Sommer genügend Eis bekommen, das alle großen und kleinen Kinder glücklich machen kann.

Fredi, der Eismacher, erklärt Laila und Tom, dass das Eis in den letzten Jahren immer weniger geworden ist und die Menschen das nicht erkennen. „Ich kann nicht mehr so viel Eis abbauen, wie früher. Und das liegt nicht daran, dass ich älter werde und nicht mehr so viel schaffe“, beteuert Fredi mit traurigem Ton in seiner warmen Stimme.
„Ich helfe dir!“, ruft Tom, der das wohl falsch verstanden hat und sich auf der Stelle den Eishacken von Fredi schnappt und beginnt in der Höhle wild ins Eis zu schlagen. Mit jedem Hieb knirscht das ewig scheinende Eis und einzelne kleine Blöcke fallen von der Wand zu Boden. Laila erklärt dem verdutzten Eismacher, dass Tom immer viel zu viel Energie hat, weil er zu oft vom guten Traubensaft nascht und schon eine kleine Brise Traubenzucker reicht, um stundenlang ohne Rast zu sein. Wenn Tom wieder genügend um sich gehauen hat, dann beruhigt er sich wieder.
„Dann habe ich ja einen guten neuen Gehilfen, aber es ist Sommer“, seufzte der Eismacher. „Stopp, Tom! Zuviel ist Zuviel“, meint Fredi. Ich will nur die heurige Ernte haben, sonst zerstören wir ja unser Eis fürs nächste Jahr. In meiner Eiswelt ist alles sehr sensibel.“ Laila macht das traurig: „Ach, wenn nur Elias da wäre. Der wüsste, wie er Tom beruhigen kann. Und außerdem, wie kommen wir hier wieder raus?“ „Elias?“, fragt der Eismacher erstaunt. „Ja, Elias Huckepack, mein großer Bruder, der den guten Traubensaft macht.“

Abenteuermodus

Doch der Eismacher weiß schon, wer Elias ist. Fredi erzählt, dass Elias ihn ein paar Mal im Jahr heimlich besuchen kommt, wenn er im Winterurlaub ist. „Hast du dich noch nie gefragt, wo er hingeht, wenn er in Ruhe zwischen den Zeilen lesen möchte?“, schmunzelt Fredi. Elias bringt ihm auch heimlich seinen guten Traubensaft, und bekommt dafür Coins für Icecraft, damit er sein Elias Huckepack Eis bauen kann. Fredi habe zwar auch keine Ahnung, wie er es immer mit seinem Rad in die Eishöhle schafft, aber das hat ihn bisher auch nicht interessiert, solange sein geheimes Versteck und die Eiswelt hier drinnen sicher bleiben. Elias ist wohl der Einzige, der den Weg zum Eismacher kennt, ohne sich in eine Gletscherspalte stürzen zu müssen. „Wenn im Winter alles mit Schnee bedeckt ist, bin ich immer einsam. Ich freue mich auf Elias, wenn er mich besucht, sobald sein selbst gemachtes Eis am Hollerberg wieder aufgeschleckt ist“, meint Fredi mit Blick auf das ewige Eis in seiner Eishöhle. Fredi macht Laila Hoffnung, dass Elias ihnen sicher auch diesmal den Weg nach Hause zeigt, damit sie nicht ewig frieren müssen. In der Zwischenzeit erzählt der warmherzige Eismacher, dass er sich Sorgen um die Menschen mache. Die Erwachsenen wollen nicht verstehen, dass das Eis nicht ewig da sein wird. Aufmerksam hören die Kinder dem Eismacher zu und hören seine Bitte, dass sie ihm helfen mögen, das Eis und die Menschen zu retten. Wenn es auf der Welt immer heißer wird, dann wird das Eis verschwinden und niemand wird mehr glücklich sein können. Fredi zeigt ihnen die Stelle im Eis, wo Elias jedes Mal nachmisst und mit eigenen Augen sehen kann, dass die Höhle immer kleiner und kleiner wird. Als Fredi noch ein Kind war, hatte der Schneefall die Höhle im Winter immer weiterwachsen lassen. „Aber das ist lang vorbei und bald wird es wohl kein Eis mehr geben. Dann müssten die Menschen sich riesengroße Eismaschinen dafür bauen. Doch das wird sich bestimmt niemand mehr leisten können, wenn das kostbare ewige Eis einmal verschwunden ist“, meint Fredi mit sorgenvoller Stimme. Eis ist so wertvoll und wächst nur nach, wenn die Gletscher nicht verschwinden und es im Winter kalt genug bleibt. Da die Menschen von Allem zu viel verbrauchen und auch unnötig viel von den Schätzen im Boden verbrennen, wird es nicht nur viel weniger Eis geben. Die Erwachsenen zerstören alles was gut ist - deshalb wird es auch von Jahr zu Jahr wärmer auf der Erde. Irgendwann werden die Menschen es wegen der Hitze nicht mehr aushalten. Wenn es kein Eis mehr auf der Welt gibt, dann kommt alles durcheinander. Statt Eis, dass uns glücklich macht, wird es viel zu viel warmes Wasser geben, das dann noch viel verrücktere Sachen mit uns macht.
Laila seufzt laut: „So wie Tom!“, der jetzt auch kleinlaut neben ihr hockt und dem Eismacher mit gespitzten Ohren aufmerksam zuhört, als dieser sagt: „Mit den Gletschern verschwindet auch der ewige Frostboden auf der Erde. Wenn der auftaut, dann wird das gute Eis nur noch nach Schwefel und verfaulten Eier stinken.“ „Iiiiihh…!“, rufen Laila und Tom im selben Moment.

Auf einmal sehen sie Elias mit seinem hellblauen Rad mitten in der eisigen Höhle stehen. Er ist still und leise dazu gekommen und konnte bereits eine Zeit lang zuhören. Elias will den beiden gleich Mut machen und sagt mit etwas ernster Stimme, dass sie gemeinsam bestimmt einen Weg finden, wie die Menschen begreifen, dass sie das Eis schützen müssen. Alle Menschen müssen verstehen, dass es niemals auch nur ein Grad heißer werden darf, wie hier in der Eishöhle, wo schon das Schmelzwasser zu rinnen beginnt. Jedes Kind weiß, dass man ein Eis nicht zu lange in der Hand halten darf. Wir müssen es schaffen, dass die Welt nicht noch ein paar Grad wärmer wird.
„Sag’ uns, lieber Eismacher, was können wir tun?“, fragt Laila Fredi aufgeregt.
„Die Menschen sollten mehr lesen und verstehen, dass das gesamte Inventar der Erde bald verbraucht ist. Viel zu viele Menschen verschwenden mehr als für einen Menschen alleine da ist. Damit die Welt nicht leidet, darf ein Mensch jeden Tag nur eine Hand voll an Eis und Coins verbrauchen. Versteht ihr?“, sagt Fredi und alle nicken. Da fällt Elias ein, dass ja auch ein Tropfen von seinem süßen Traubensaft für das Eis reicht oder für die Schokolade, damit sie süß genug ist. Das hat einen besonderen Grund, doch das ist eine eigene Geschichte wert, meint Elias mit einem Zwinkern in den Augen. „Ich habe es schon schwer genug mit euch allen am Hollerberg. Ich muss ja nicht gleich allen erzählen, warum ich keinen Saft trinken kann. Es ist so schon nicht ganz einfach, wenn einem die kleine Schwester andauernd hinterherläuft“, zwinkert Elias zu Tom und ruft: „Kommt! Wir packen das frische Eis auf das Rad und gehen zurück und suchen eine Lösung im Lesekeller.“

Mutige Träume

Ein wenig bedrückt erreichen alle drei Freunde mit dem frischen Eis den Lesekeller am Hollerberg. Laila fällt ganz schwer und tief traurig in den Lesesessel. „Was ist, wenn das unser letztes Eis sein wird?“ Mit Blick auf die Bücherregale sagt Elias: „Fredi meint, dass alles in den Büchern steht. Also los!“ Tom liegt am Boden und rührt sich keinen Millimeter, während er erklärt, dass alle Erwachsenen eigentlich schon wissen, wie es geht und auf was sie verzichten müssen. Er will im nächsten Jahr nicht auf das Eis verzichten und den schönen Sommer genießen. Die Erwachsenen sollten das gefälligst tun. „Recht hast du! Wir sind ja nur Kinder, oder?“ antwortet Laila.
Nach einiger Zeit beginnen sie doch in den Büchern zu stöbern und erinnern sich, dass sie zwischen den Zeilen lesen sollen – so, wie es auf der Wand steht. Alle beginnen in den Büchern zu wühlen und zu blättern. Auf einmal fällt ein Buch vom obersten Regal auf den Kopf von Tom. Wütend schmeißt er das Buch an die Wand und flucht lauthals Unverständliches: „Ahhhrrrg… ver-damm-potz-himmel-saft-fluch…ahhhhrg.“

Laila bückt sich runter auf den Boden und hebt das Buch auf und lacht. „Das war ein Biologieschulbuch, Tom!“ Kichernd blättert sie darin und runzelt die Stirn. Bald schlägt sie das Buch zu und stellt es zurück ins Regal. „Oh, ich hab‘s!“, schreit Laila begeistert. „Wir machen es wie Tom und gehen solange nicht mehr in die Schule, bis alle Erwachsenen verstehen, dass wir alle unser Eis brauchen und sie uns unterstützen. Sonst werden wir nicht mehr glücklich. Denn wenn das Eis verschwindet, dann werden auch wir Menschen irgendwann verschwinden.“


Illustration: Jacqui Kaulfersch
Idee und Text: Roger G. Knif



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